
Omnibus, Fidibus, dreimal schwarzer Kater
Am 26.02.2025 veröffentlicht die EU-Kommission ihren so genannte Omnibus I-Entwurf, einen Gesetzesvorstoß zur Entschärfung und Harmonisierung der von der EU selbst verabschiedeten Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung.[1] Der Vorschlag schlägt hohe Wellen in der Nachhaltigkeits-‚Community‘, die davon langfristig Schaden nehmen dürfte.
Von Green Deal zu No Deal
Nach der Wahl des neuen EU-Parlaments im Juni ‘24 und noch vor der Wahl der neuen EU-Kommission im November entstanden Gerüchte über ein Omnibus-Gesetz zur Vereinfachung der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Spekulationen rankten von einer 20-prozentigen Reduktion der Berichtspflichten über einen späteren Geltungszeitpunkt bis hin zur vorerst auszusetzenden Sanktionierung bei Nicht-Einhaltung beziehungsweise einer Abmilderung des externen Prüfrahmens.
Der Fokus der neuen Kommission mit erneutem Vorsitz unter Ursula von der Leyen auf (unter anderem) Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Europa gibt der Omnibus-Initiative zusätzlichen Auftrieb. Ziel der Kommission: Bürokratieabbau und Entlastung der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstands, und dabei Stärkung der Innovationskraft und Attraktivität des Standorts.[2] Sicherlich begrüßenswerte Ansätze vor der zusammenhängenden Problematik von Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation, der schwächelnden Konjunktur vieler europäischer Länder, Investitions-Unlust, stagnierender technologischer und digitaler Entwicklung und so vielem mehr.[3]
Vereinfachung grundsätzlich begrüßenswert
Tatsächlich zeigt unsere eigene Beratungstätigkeit und unser Austausch mit Unternehmen, Beratungen, Tool-Anbietern und PrüferInnen, wie komplex, zum Teil paradox und definitiv arbeitsintensiv die Anforderungen durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die EU-Taxonomie und auch die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) sind. An einigen Stellen kann die Sinnhaftigkeit hinterfragt und eine Vereinfachung befürwortet werden, auch wenn wir bei Nur Baute an die gesamtgesellschaftlichen Vorteile einer verschärften Berichterstattung glauben.
Einige Unternehmen beschließen aufgrund der hohen Kosten für WoMen Power, Beratung, Tools und externe Prüfung sowie wegen der grundsätzlichen Herausforderungen in der Informationserhebung entlang der Wertschöpfungskette und im eigenen Unternehmen, vorerst Non-Compliance zu riskieren. Andere Unternehmen machen sich mit hohem Einsatz an die Arbeit, ob aus Compliance-Gründen oder Überzeugung für die Sache.
Die Scene kam in Bewegung
Fast alle rüsten wir auf (– natürlich unmilitärisch gemeint, wenn auch in traurigen Zeiten der Rückkehr zu Imperialismus und geopolitischer Taktiererei). Wir, soll heißen NachhaltigkeitsmanagerInnen, Beratungsunternehmen, Prüfgesellschaften und Tool-Anbieter gleichermaßen, rühren die Werbetrommel für unsere Sache, suchen wie verrückt nach Unterstützenden in den eigenen Reihen, lernen eigenen Mitarbeitende an oder stellen rar gesäte Fachkräfte ein, entwickeln das Leistungsportfolio weiter.
Bereits ausgelastete NachhaltigkeitsexpertInnen fügen ihren ohnehin interdisziplinären Qualifikationen Jura-Jargon, Change Management und weitere Hartnäckigkeit hinzu. Wir erhöhen unsere Frustrations- und Kraftgrenzen – oder steigen Burn-out bedingt aus.
Crime Time
Es folgt ein Gesetzgebungskrimi mit Tatort-Charakter: ein Schock für alle First Mover beziehungsweise die, die sich gemäß den gemeinhin ausgesprochenen Empfehlungen rechtzeitig auf den Weg gemacht hatten. Und eventuell entsteht leichte Häme bei denen, die lang genug die Füße stillgehalten hatten oder halten mussten. Die aktuelle Entwicklung gibt ihnen (bedauerlicherweise) recht.
Schon einige Tage vor der offiziellen Veröffentlichung kursieren in der LinkedIn-Welt geleakte Dokumente zum Gesetzesentwurf. Die fassungslose Einschätzung einiger Beobachtenden: Das muss eine strategische Finte sein, um die späteren, nur minimal milderen Entwürfe wie einen entgegenkommenden Kompromiss wirken zu lassen. Der präventive Beruhigungsversuch erweist sich als falsch.
Die EU-Kommission schlägt eine RADIKALE Verminderung der Berichtspflichten von CSRD, CSDDD und EU-Taxonomie vor. Die neu angesetzten Schwellenwerte würden nur noch 20 Prozent (!) der bisher betroffenen Unternehmen einbeziehen, die Erstanwendungszeitpunkte sollen verschoben werden, die Standards vereinfacht, die Prüfpflichten vermindert werden.[4]
Wellen des Schocks aber auch der Erleichterung
Ein Schock für alle Unternehmen, die vorausschauend bereits viel Zeit, Geld und Kraft in die Umsetzung gesteckt hatten. Ein Schock für alle NachhaltigkeitsmanagerInnen, die persönlich innerhalb ihrer Unternehmen als Gesicht für die Bürde stehen, die durch die Regulatorik entstanden war. Ein Schock für alle Unternehmen der Branche, die ihr Geschäftsmodell in diese Richtung vorbereitet hatten. Und mindestens ein großes privates Fragezeichen für jene, die in dem Zuge angestellt wurden.
Fast drei Jahre lang kämpften ESG-ExpertInnen mit der häufig (zu) späten Entwicklung der interpretationsbedürftigen Berichtsstandards und Umsetzungsleitlinien. Auf der Zielgraden schlägt die EU-Kommission eine Änderung der ‚Wettkampf‘bedingungen vor.
Für einige stellt das natürlich eine Erleichterung dar. Anstatt eines unsportlichen Schlusssprints mit schlechtem Ergebnis bleibt nun ausreichend Zeit, sich besser auf die Berichtspflichten vorzubereiten. Für andere entfällt schlicht die ungewollte Last der Berichterstattung vollständig.
Nachhallender Vertrauensverlust
So oder so schafft die EU-Kommission jedoch mit diesem Vorschlag eine fundamentale Vertrauenskrise in die ganze Nachhaltigkeitsbranche und -thematik. Selbst bei einer Abmilderung des Entwurfs ist dieser Bruch weltweit nicht mehr zurückzunehmen. Wer wird der nächsten Nachhaltigkeitsregulatorik der EU noch Gehör schenken; wer sollte vorzeitig noch einen Finger rühren?
Dabei haben die meisten EU-Mitgliedsstaaten die Regularien bereits in nationales Recht übertragen; darunter NICHT Deutschland, was hierzulande bereits zu viel Rechtsunsicherheit führte.[5] Wie schnell kann die EU nun ihren neuen Entwurf diskutieren und verabschieden? Wie viel Zeit bleibt den Mitgliedsländern für eine eigene Übertragung der Richtlinien? Werden Unternehmen in den Mitgliedstaaten, in denen die Umsetzung der bisherigen Richtlinien bereits erfolgte, trotzdem über 2025 berichten müssen, auch wenn sie nach dem neuen Entwurf nicht betroffen wären? Es gilt abzuwarten, wie Kommission, Parlament und Mitgliedsländer auf die aktuellen Stimmen der Kritik und Zustimmung reagieren.
Was jetzt noch bleibt
Für ESG-ExpertInnen bleibt nur übrig zu betonen, dass die Weiterführung der begonnenen Arbeit sowie die Nutzung der gewonnenen Daten und der (semi-)etablierten Systeme trotzdem lohnt. Und sie haben natürlich recht! Die potenziellen Vorteile durch Nachhaltigkeitsberichterstattung, wie nachhaltige Produkt-/Serviceinnovation, Branchenzusammenarbeit, Risikominimierung, Attraktivität für Kapital und Talente oder strategische Unternehmenssteuerung, bleiben bestehen. Das ließe sich im Rahmen der freiwilligen Berichtsstandards (z.B. VSME, GRI) oder dem umfangreicheren Standard für kleinere kapitalmarktorientierte Unternehmen (LSME) weiterhin fortführen. Und die Nachfragen nach ESG-bezogenen, belastbaren Informationen von Kundenseite werden ebenfalls eher zunehmen.
Trotz des Schocks über den Kurswechsel und die Sunk Costs stellt die Änderung für viele Unternehmen langfristige eine Erleichterung dar. Für Mensch, Natur und nachhaltige Entwicklung bleibt es erstmal ein derber Rückschlag, der allerdings durch proaktives Handeln und nachhaltige Transformation aufgefangen werden könnte, … wenn das im Interesse der Unternehmen ist.
Wir zählen auf Sie!
[1] EU-Kommission (2025)
[2] Deutsche Vertretung der EU-Kommission (2024)
[3] Konjunkturforschungsstelle (2024); Tagesschau (2024)
[5] Ius Laboris (2025)